19
Feb
2006

Wochenendzauber

Das Wochenende neigt sich eindeutig dem Ende zu. Ich bin positiv überrascht wie viele kleine Wunder es mir zu schenken wusste.
Denn beschwerlich war die Aufgabenstellung: Ein Berg ungelöster Probleme umschwärmte mich und drohte mit erneuter und weiterer Auflösung des porösen Selbst. Ein wenig Klarheit war geschaffen, aber nicht genug – andererseits kamen neue Unwetter dazu, die vielleicht auch für Klarheit sorgen, aber erst mal den Zustand der Umwölkung annahmen. Letzteres privat: Es war klar, ich würde das Wochenende alleine überstehen müssen /dürfen, als überstünde ich nicht schon die Woche so grausam alleine...
Freitag Abend durch die Stadt gewandert bis zur Tapas-Bar, dort nahm ich lecker überbackene Artischocken und Rotwein ein, und schlich mich heimlich in andern Leuts Gespräche. Samstag morgen trieb es mich überraschend früh aus dem Haus, die Notwendigkeit war klar: Ich hatte das Auto abgestellt, wo zu verhindern war, dass ein fieser Zettel an ihm hängen würde, der weitere unnütze Ausgaben verursachen könnte. Überraschend waren Lust und Kraft, aus dem Haus zu stürmen. Bodenlos fast, dass es nur einen Grund geben konnte, die ersten Anflüge von Luft und Licht wie Frühling in dieser Stadt.
Ich wusste, ich musste fahren bald, die enge Hütte verlassen, das Trauma der Alleingelassenen in der Hütte. Das Wetter spielte halbwegs mit am Samstag, wenn auch etwas durchwachsen, aber es war verglichen mit allem, was man hier in den letzten Wochen durchmachte, mild! Wichtig war hauptsächlich, das Bundesland zu wechseln und so fuhr ich durch Sachsen-Anhalt – ohne rechtes Ziel. Ursprünglich hieß das Ziel Dessau, aber über Dessau, so hörte ich im Radio hing Rauch und Asche und es brannte die Plaste. Dessau soll ja schön sein, aber nicht an diesem Samstag, ich bog ab zur Elbe, es wurde insgesamt eher wolken- als ascheverhangen, ich fand meinen Ort zu Rasten nicht. Nachdem ich schon beinahe wieder aufgegeben hätte, fand ich mein Ziel und ein kleines Zimmerchen in Naumburg an der Saale, phh, dachte ich, biste verrückt, ein Hotelzimmer ne knappe Stunde vor der eigenen Wohnung. Ich fand mich komisch, aber als ich nach einem Tag fast ohne Essen in der Kneipe ein Schnitzel zu mir nahm, merkte ich, wie sehr ich – fast schon unterzuckert – zitterte, und wie sehr gut mir meine Entscheidung tat. Ich hatte Lust auf Alkohol auf dem Zimmer und gar nichts dabei, auch keinen Öffner, aber zum Glück gab’s eine Falsche Rotkäppchensekt überteuert zu kaufen. Und einen Fernseher auf dem Zimmer. Das ansonsten nach kaltem Rauch stank von Anfang an, was ich fies fand. Nun, ich rauche selbst, und soviel war klar, hier kann man es tun ohne schlechtes Gewissen, aber eigentlich liebe ich Hotelzimmer, in denen wundervolle Gerüche von Frischheit aufsteigen. Das leider konnte man sich hier abschminken. Aber Sekt trinken und rauchen und ein bisschen TV. Ich versteh´s ja auch nicht, wie seltsam obergeil entspannend ich das Erlebnis des Fernsehens in Hotelzimmern finde. Weil ich keinen Fernseher habe, manchmal frage ich mich schon, ob mein Leben nicht eine entscheidende Entspannung durch Alltagsfernsehen bekäme. Keine Ahnung, ich lebe schon so lange ohne und fand es immer pervers...
Obergeil finde ich es auch, morgens Frühstück gemacht zu bekommen, zahlender Gast zu sein, dem alles hingestellt wird. Dies sind alles keine Erlebnisse mehr, für deren Qualität ich einen Begleiter brauche, fast im Gegenteil. Auf den Genuss der Situation kann ich mich besser alleine konzentrieren.
Aber es kam noch besser. Ich strich durch Naumburg, nachdem ich die Rechnung für die Übernachtung in der Herberge beglichen hatte, und machte verzwickte Umwege mit Absicht bis ich am Dom war. Wegen Uta ist der unbedingt zu besichtigen, aber es ging nicht um halb elf, es war Gottesdienst in der angeschlossenen Nachbarkirche, man hörte samtig Orgel und Singen und manchmal nicht viel. Dom-Besichtigung Sonntags erst ab 12. Bis 16. Aber vielleicht ist auch die Wirkung eines solchen Dombaus von außen viel eindrücklicher. Die imposanten und doch irgendwie Geborgenheit stiftenden Turmspitzen staken in einen mittlerweile sehr sehr blauen Himmel, Frühling eindeutig, und ein Gefühl erstaunten Glücks. Wenn ich schon nicht unmittelbar anfangen konnte an Gott zu glauben, so glaubte ich doch plötzlich den Menschen, die es tun. Die Domkulisse von Naumburg hatte eine eindrückliche Wirkung von Schutz, Stolz und Imposanz auf mich – und das alles auf einmal und schillernd stark in den blauen Himmel hinein. Begehbar auch bei Besichtigungssperre der Kreuzgang. Den ging ich viele Male ab, und auf einmal war es so klar, was dieses Gehen im Kreis – der ein altehrwürdiges Viereck ist, in Wirklichkeit, achtsam und bewusst bewirkt. Ich spürte eine ehrfürchtige Freude und Ruhe.
(Der Tag ging ja noch weiter, und gut, aber das muss jetzt erst mal reichen: Vielleicht demnächst mehr. Ich spüre noch den Genuss des Wochenendes, die herrliche Luft, ich habe Lust auf Schnitzel, auf Genuss und Geborgenheit – aber morgen wird das Wetter schlecht, so hört man und ich muss wieder dem Alltag ins Gesicht sehen. Und dennoch bin ich froh, sehr froh und kann Naumburg an der Saale nur wärmstens empfehlen, jedenfalls bei gutem Wetter und mit Rotkäppchensekt, trocken.)

Berlin-Moskau

In 83 Tagen zu Fuß...
Es ist fast schwer, so als Frau, sich nicht während des Lesens in den Autor zu verlieben. Aber das ist wiederum nicht das Wichtigste. Denn große Abenteurer liebt man besser nicht!; vielmehr ist es er Glanz der Lektüre, der abfällt aufs eigene Gemüt, dass man doch selbst gerne so eine Abenteuerin wäre. Im einfach Loslaufen, immer weiter, unverzagt und unverdrossen, wie auch in der Sprache. Und so hat mich das Buch zwei Tage begleitet und mir ein warmes, tapferes Herz geschenkt.
Warum jedoch Susanne Osthoff in der offiziellen Meinung nicht gemocht werden darf, das verstehe ich dann, nur am Rande, nicht.
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