15
Jun
2010

Heimatverloren

wie seltsam ... wie von alter, erster Zeit, wie immer wieder neu.
Eben fing ich gerade diesen Film auf. Es hat mich zutiefst gerührt, auch wenn ich bis zum Schluss nicht hundertprozentig verstand, wer nun welcher Bruder ist (oder war oder geworden ist).
Es hat mich gerührt wie damals, als ich mit 11 oder 12 das erste Mal im Fernsehen eine Dokumentation über die Kurische Nehrung sah und bald im Fernseher versank, weil ich wusste ... da ist was. Nichts, was ich wirklich hätte wissen können, oder nur halb, und nachmittags unbeobachtet im Halbdunkel saß, ungeleitet kroch ich in den Fernseher, irgendwohin, kurz. Als ich 16 oder 17 war, waren mir die Zusammenhänge schon klarer – und ich bekämpfte entschieden und eben politisiert die deutsche Namensgebung polnischer und litauischer Städte durch meinen Vater. Die 1937-tauglichen (aber 1980 erhältlichen) Landkarten, in denen er seine alte Heimat in den Namen seiner Kindheit wiederfand. Er war damals bundesdeutscher Studienrat (schlimm genug), SPD-Wähler, keinem Heimatvertriebenenbund irgend angehörig, er wollte nur irgendeine Karte daheim haben, wo er einige Ortsnamen so fand, wie sie waren, als er Kind war. Wenn ich das später verstand, verstand ich das, heute verstehe ich es so ganz und gar…
Manchmal denke ich, was mir alles mitgegeben wurde, auch gerade als Erstgeborene, Erstprojezierte … ist sozusagen ein interkulturelles Schicksal (der deutsch-baltisch-versehrte Vater, die rundlich-rheinhessisch-lustige Mutter). Den Begriff (interkulturell) gab es ja damals nicht … und dass ich mich später pädagogisch sehr damit beschäftigt habe, vielleicht nicht gerade zufällig, hat mir aufgezeigt, dass er mir sehr viel erklären kann. Andererseits: Diese spezifische deutsche, deutsch-östliche Geheimnistuerei (wo stehen denn die aus dem deutschen Osten … psychisch auf der Opfer- und Täterseite und, wenn sie wie mein Vater bei Kriegsende 15 Jahre alt waren erst recht ..eher psychisch…) ist etwas, was nun erst durch die Kriegsenkeldiskussion erst aufkommt.
Zu nichts will ich mich gerade aufschwingen, aber dieser Text wird jedenfalls gerade viel zu lang. Den wird ja kein Mensch lesen, geschweige denn kommentieren. Dann lass ich ihn erst mal so stehen…

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wasserfrau - 15. Jun, 01:51

Während ich das schrieb ... war wieder intensiv vor mir .. das Bild einer Erfurter Brücke, auf der ich oft stand. Oft, total traurig, totalst allein, alte Texte müsste ich raussammeln, Eve!?! hörst Du mich und wo bist Du überhaupt?, diese Brücke.
Ich muss mir das aufschreiben. Wäre mein Leben noch literarischer, als es ohnehin schon ist, wäre es auf jeden Fall notwendig, dass ich in in baldiger Bälde exakt zu dieser Brücke führe. Mich hinstellte und empfinge. Irgendwo dort, wo ich unerlöst weinte - weinen wollte - meineTränen versiegten - den Rückpreis dafür aufkäufte.
Vielleicht tue ich das ja, vielleicht fahr ich dahin, alleine, keine Kunst, ich war da ja immer allein, vielleicht fahre ich da ja hin, auf eine ganz besimmte Brücke in Erfurt, um mich zurück zu kaufen.

rosmarin - 15. Jun, 01:59

der text ist überhaupt nicht lang.
und so auf dem punkt.
.... so sehr, dass selbst jemand wie ich..... plötzlich angerührt..... schweigt.

wasserfrau - 15. Jun, 02:11

nun ja .. sie sind irgendwie ja auch ... begabt. (ich mein jetzt nicht: zum schweigen.). Merci.
virtualmono - 15. Jun, 12:31

Hach... da koennte ich jetzt auch eine lange Geschichte erzaehlen...

wasserfrau - 15. Jun, 14:59

oh ja ...bitte... erzählen sie!!
books and more - 15. Jun, 17:42

Tja, diese flüchtigen bleischweren Kriegs- und Fluchtgeschichten, die einen noch generationenlang runterziehen ... wie's mir selbst mehr und mehr scheint und heraufsteigt!

wasserfrau - 15. Jun, 23:22

Es ist so. Es hat einfach sehr lange gebraucht, bis man halbwegs unterscheidend zu einer bundesrepublikanischen Neo-Normalität beschreiben kann, was da war. Der Schrecken in den Knochen erschien lange normal.
nömix - 16. Jun, 09:45

Ich möchte deinen Text gern kommentieren, auch mein Vater war ein Heimatverlorener. In Reichenberg (heute Liberecký CZ) im Sudetenland daheim, wurde er als 17-Jähriger eingezogen und geriet 2 Jahre in italienische Kriegsgefangenschaft. Nach der Befreiung gab es keine Rückkehr in die Heimat mehr, die Familie vertrieben, ins Rheinland und nach Österreich. Auf Familienfotos sieht man meinen Vater stets gleichgroß wie meine Brüder und ich: wir alle deutlich über 1.80. In seinem Wehrmachtspass aber stand noch: Größe 1.70. Ein Halbwüchsiger, der in den Krieg ziehen musste und als Erwachsener zurückkam, der mittlerweile seine Heimat verloren hatte. Und dennoch war mein Vater ein überaus warmherziger und humorvoller Mensch, von Verbitterung keine Spur. Ein Vertreter einer Generation, zu der man aufblicken sollte.

wasserfrau - 16. Jun, 13:15

Vielen Dank - und Gratulation zu einem solchen Vater - falls da Gratulation ganz das richtige Wort ist. Mein Vater wurde durch die lange Flucht (über 2 Jahre, weil sie am Danziger Kessel nicht durchkamen und erst zurückmussten) leider sehr verhärtet. Es war wohl sehr schwer zu überleben - und er hat verdammt viele gesehen, denen es nicht "gelang". Darüber wurde er zum Sozialdarwinist: Nur die Stärksten kann er anerkennen. Ich verstehe (mittlerweile) sein Schicksal. Dass er nie loslassen und umschalten konnte hat mir allerdings das Leben häufig schwer gemacht.
steppenhund - 16. Jun, 13:32

Für unsereinen (Österreich) galt ja das Wort: nur wer seine Eltern oder Großeltern in Böhmen oder Mähren hat, ist ein echter Wiener. Echter als wäre er in Wien geboren.
Auch in meiner Vorfahrenschaft (alle Großeltern stammten aus dem heutigen Tschechien) habe die Vertreibung der Sudetendeutschen mit erlebt. Dazu kannte ich eine Reihe von weiteren Personen (heute alle schon tot), die sich vom Verlust der Heimat nie wirklich erholten.
-
Ich verstehe das Ganze sowieso nicht. Beim Krieg im ehemaligen Jugoslawien war es für mich unbegreiflich, dass sich solche Szenen in Europa wieder abspielen konnten. Srebenica zum Beispiel.
Obwohl ich vom Wesen her eher optimistisch bin, frage ich mich manchmal, ob die Geschichte uns nicht lehrt, dass wir für das Leben untauglich sind. Dass unsere Species nur ein Irrtum der Evolution ist. Wir werden es schon schaffen, unseren Planeten von der Krankheit Mensch zu befreien.

wasserfrau - 16. Jun, 15:56

Auf jden Fall bleibt der Mensch geistig und sozial hinter seinem biologischen Vermögen und Schicksal zurück. Zum schicksalhaften Vermögen gehört ja, dass wir denken können, gut genug, die destruktivsten Machenschaften zu ersinnen und das Gerät dazu zu bauen. Zum biologischen Schikcsal gehört es auch, dass junge Menschlein lange brauchen, bis sie erwachsen sind. Und obwohl das keine ganz neue Tatsache ist, zeigt das ganze Mißbrauchselend, dass die Menschen diesen ihrer Gattung eigenen Aufwachsgegebenheit nie und nimmer gewachsen sind. Auch außerhalb der sexualisierten Gewalt wird so den Nachkommen immer und immer wieder viel Grausames in frühen Jahren eingelöffelt. Weil die Menschen ihrem Schicksal, dass man nicht drei Monate, sondern sehr viel länger die psychische Gesundheit der eigenen Nachkommen zu bewahren hätte, nicht gewachsen sind. Die Grundprämissen des Menschseins, diese enorme Aufgabenstellung der Gattung: Das müsste vielleicht Schul- und Lehrfach usw. sein. Was bedeutete, dass auch die Lehrer(innen) noch viel zu lernen hätten.
steppenhund - 18. Jun, 12:53

Das halte ich für eine gute Analyse.
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