Als Nachtrag nun ein Text aus den kurzen, lebensvollen Tagen in der Rhön, erst mal ein Foto:
19.mai, abends, Ostheim/Rhön/Unterfranken
So, ihr Lieben, jetzt sitze ich: Freitags abends um zehn hier unvernetzt in der Rhön und schreibe an euch. Was ihr natürlich gar nicht mitkriegt, sondern dann höchstens zeitverzögert.
Das waren wirklich schöne Tage mit euch, irre eigentlich, ich hätte nie gedacht, wieviel Begegnung „einfach“ über Worte, Sprache, Phantasien und Grenzgängereien möglich ist.
Siam: Über den Text, den ich halb schreibe, halb wie er mir gegeben ward, nachhübsche, kann ich eigentlich nichts sagen. Das ist schlicht Kundschaft, die einen chaotischen unfertigen Text gerne in einen brillanten oder wenigstens passablen verwandelt sieht. Ich habe gestaunt bei eskorte mit ihrem Kullerkopf –Engagement. Etwa so, nur halt nur nebenbei. Für nahestehende Kundschaft, die weiß, dass sie mir vertrauen kann. Eigentlich handwerkliche Arbeit, eigentlich sprengt das mein Zeitbudget. Momentan jedoch ist mein einziges Produktionsmittel, mit dem ich mich wohl fühle, die Sprache. Da soll es mir dann recht sein.
Und so sitze ich jetzt spießig in einem kleinen Appartement in der Rhön und habe schwer phantasiert von Schlafsackschlafen auf Bergen und wasweißich.

Aber immerhin ein Auf- und Ausbruch, auf dem Tisch steht Flieder, draußen tobt die Dorfbevölkerung. Ostheim ist direkt hinter der Grenze des Freistaats Thüringen, irgendwie die Schnittmenge aus Ost und West, weder, so sagt man mir, Hessen noch Bayern noch Thüringen, einfach der letzte Zipfel Unterfranken. Das sagen sie, als sei das hier eine autonome Republik – und das ist es mutmaßlich nicht.
Ich bekam selbstgekelterten Apfelsaft geschenkt, ein wunderbares Zeug. Ich habe kein Problem mehr im Moment. Die ganze Autobahnfahrt saß mit die Firma noch im Kopf und quälte mich – und ich quälte mich selbst, wie man soviel über das Loslassen und Riskieren und sowieso ganz existentialistisch-Grundlegendes sich heiß schreiben kann und doch eine Paranoia entwickelt, wegen den blödsinnigsten Kleinigkeiten eines Betriebs, an dem man nicht hängt – äh, ganz im Gegenteil. Wie man so kleinmutig sein kann und so großspurig.
Und wie ich eben einen eigenen Weg finde. Das Allein-Reisen als Frau, weiß Gott kein Abenteuer in diesem Fall, und doch – mit sich selbst unterwegs sein, ein bisschen. Flieder riechen, Kerze brennen. Neuer, flüchtiger Flieder, fremde, dicke Kerze. Ich hätte das in der Wohnung in Erfurt nicht hinbekommen. Ich glaube, ich habe Angst vor den Dingen, die ich ansammle, hinstelle, hinwerfe, vor der bloßen Dinglichkeit in einer Wohnung, in der nichts lebt – und meine Vitalität kommt gegen die festgefahrene Dinglichkeit nicht an. Dinge bestürzen mich, außer es handelt sich um Kommunikationsmittel, Blumen, ein Teller, ein Glas, nicht viel mehr. Sehr liebe Bilder vielleicht noch. Selbst Bücher sind zwiespältig, Freunde, aber sind sie einmal gelesen und geblättert und stehen immer noch rum oder liegen gar irgendwo: dann überraschen auch sie mich seltsam. Aber ich kann Bücher nicht wegwerfen.
Und die Sprache, der Text, das ist immer flüchtig und neu. Das entsteht hier in ganz unbekannter Umgebung und ist doch immer noch meins, auf einem altersschwachen lap-top, den man fast ankurbeln muss, der mir mal hingefallen ist und einen schweren Riss über den Monitor hat. Egal.

Jetzt ist es egal. Denn sonst, nach der Arbeit manchmal, da regt es mich auf, meine Lebensumstände, das nicht vorhandene Geld, das ein Mensch zieht, der mir nicht helfen kann. Ja, auch ich bin eine professionelle Retterin – und er, der hat´s geschafft mich an ein Rettungsprogramm zu binden. Ich kann momentan nicht bei ihm sein, da er wieder in tiefstem Schlamassel steckt, und ich außer mich käme. Das ist meine plutonische Herausforderung. Und er schafft es mit größter Gelassenheit und Würde von Schlamassel zu Schlamassel zu reiten, mit gnadenlos-ruhiger Konsequenz. Das festigt die Verhältnisse mehr als alles andere und ist für mich nicht-Bodenständige wahrscheinlich das non plus ultra der Erdenhaftung. Ich zeige mein Anderes so sehr in dieser Konstellation, die sogenannte Emotionalität, Impulsivität, Hysterie fast, Leidenschaft, Sehnsucht, aus-der-Haut-fahren. Bei ihm, bei mir, jetzt auch hier.
Konfrontieren kann ich mich im Moment nicht – und ich bin froh, dass ich es nicht muss.